Tuesday, September 22, 2009

Hot love

Ich war elf, und es war Sommer. Ich lag neben meiner großen Schwester auf dem Balkon. Sie döste in der Sonne, ich hörte die Top Twenty Show von Radio Luxemburg. Weil das Lied, auf das ich wartete, immer noch nicht gelaufen war, konnte es nur ganz oben sein. An der Spitze. Die Nummer 1. Eigentlich. Oder Deutschland war Unterammergau, und zwar so was von, das konnte natürlich auch sein, soviel war mir damals schon klar.

Dann kündigte der Discjockey den Spitzenreiter an, und die ersten Takte setzten ein. HOT LOVE! Tatsächlich!

Oberammergau!

Ich drehte den Lautstärkeregler des BAJAZZO Koffer-Radios bis zum Anschlag hoch, und meine Mutter kam aus ihrer Küche angelaufen.

“Nicht so laut, es ist Sonntag!”

Selbst meine Schwester zeigte mir den Vogel.

“Ich glaub, es hackt!”

Dabei wollte ich ihr nur imponieren.

“Hot love”, strahlte ich zum Radio hin. “T.Rex!”

Noch immer dröhnte das lange Gitarrenintro über den aufgehitzten Balkon, bis Marc Bolans Stimme endlich einsetzte.

“WELL SHE’S MY WOMAN IN GOLD”, heulte er durch die Nase, “BUT SHE’S NOT VERY OLD, A-HA-HA.”

Wow!

Ich war elf und kapierte kaum, was Marc Bolan damit meinte, aber egal, SEINE PUPPE WAR AUS GOLD, NICHT SEHR ALT!

Perfekt!

Ich hatte den Song bis dahin ein einziges Mal gehört und es war purer Sex gewesen, aber dieses zweite Mal fegte mich nun vom Balkon: Das war Himmel, Volldampf und ein Hammer! Alles zugleich!

Keine Frage, am nächsten Tag würde ich bei Radio Palenschadt am Neumarkt oben die Single kaufen, vom Taschengeld für übernächste Woche.

Beschlossene Sache!

“Mach endlich die Musik leiser, was sollen die Nachbarn denken?!” fauchte meine Mutter.

“Ja, schon gut..”

Ich schraubte die Lautstärke minimal herunter, es war auch zu lächerlich! Das alles nur wegen Frau Sieloff eine Etage unter uns, deren gewaltiger Atombusen ständig über den Balkon hing, wie mein Vater uns Kindern zuzwinkerte.

Nachdem Mutter wieder in der Küche verschwunden war, stellte ich mit pochendem Herzen meiner Schwester die Frage aller Fragen, die ein Elfjähriger stellen kann, seiner sieben Jahre älteren Schwester, die unnatürlich ruhig, ja teilnahmslos auf ihrer Campingliege döste.

“Wie findest du Hot Love?”

“Mh? Blöd.”

Ich war ruckzuck am Boden. Zerstört, im Eimer. Ich war frühpensioniert, ich war am Arsch. Das allersexiste Lied, das mir jemals untergekommen war, sexier als Sugar Sugar von den Archies, und was fiel meiner Schwester dazu ein?

“Mh? Blöd”.

Nach diesem Sommersonntag 1971 war sie für mich erledigt. Sie war eine verknöcherte alte Frau, für die der bereits Zug abgefahren war, mit 18 Jahren. Sollte sie doch ihrem Jimi Hendrix nachtrauern. Sollte sie doch Ricky Shayne hören. Ich blieb ein glühender Verehrer von T.Rex, bis ich im Herbst 1977 aus der Zeitung erfuhr, dass Marc Bolan tödlich verunglückt war. Mit dem Austin Mini hatte er sich auf einer Landstraße in England um einen Baum gewickelt. Nun, mein Herz war ja bereits vom Balkon gestoßen wurden, nur für ihn.

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